Das sogenannte Berliner Neutralitätsgesetz (offizieller Name Gesetz zu Artikel 29 der Verfassung von Berlin) ist im Jahr 2005 in Kraft getreten. Es verbietet Lehrkräften und andere Beschäftigten mit pädagogischem Auftrag sichtbare religiöse oder weltanschauliche Symbole oder Kleidungsstücke (mit Ausnahme von kleinen Schmuckstücken), die eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, zu tragen. Das Verbot bezieht sich zudem auf Beamt*innen des Justizvollzugs und der Polizei sowie in abgemilderter Form auf Erzieher*innen in Kitas.

Vom Gesetz ausgenommen sind Lehrer*innen an Berufsschulen und Kollegs (die Schüler*innen gelten hier, so die Argumentation, als alt genug, um von ihren Lehrer*innen nicht beeinflusst zu werden), Mitarbeiter*innen, die an Schulen ohne pädagogischen Auftrag arbeiten (z.B. Hausmeister*innen, Sekretär*innen, Köch*innen), Religionslehrer*innen und Lehrer*innen an Privatschulen.

Ursprünge – Das Bundesverfassungsgericht entscheidet in 2003

Das Gesetzes beruht auf der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2003, dem sogenannten Kopftuchurteil [2]. Hier wurde einer Lehrerin aus Baden-Württemberg, Fereshta Ludin, die gerade das Studium beendet hatte, aufgrund ihres Kopftuchs verboten zu unterrichten. Das Bundesverfassungsgericht entschied, dass die Entscheidung der zuständigen Behörde sowie die Urteile der unterinstanzlichen Gerichte die Grundrechte der Lehrerin verletzten, vor allem:

Das Gericht rügte vor allem die fehlende Rechtsgrundlage in Baden-Württemberg, ohne welche eine solche Grundrechtseinschränkung unzulässig sei. Anders formuliert, es ist verfassungswidrig einer Muslima* mit Kopftuch das Lehrer*inamt zu verwehren, wenn es kein Gesetz gibt, dass das Tragen eines Kopftuchs oder eines religiösen Symbols verbietet.

Gleichzeitig hat das Gericht die Annahme der Behörde und der unterinstanzlichen Gerichte bestärkt, dass das Tragen eines Kopftuchs in der Schule im Widerspruch zur staatlichen Neutralität stehen könne. Schließlich überließ das Gericht jedoch den einzelnen Bundesländern selbst zu entscheiden, ob Lehrer*innen an Schulen das Kopftuch tragen dürfen, denn Fragen in Bezug auf Bildung werden von den einzelnen Ländern entschieden, nicht vom Bund. Dies veranlasste Berlin und sieben weitere Bundesländer (Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hessen, Bayern, Niedersachsen und das Saarland) ein solches “Neutralitätsgesetz“ einzuführen. Das Urteil führte somit zu “staatlich geförderten” Verboten auf Länderebene.

Eine neue Bundesverfassungsentscheidung in 2015

In einer späteren Entscheidung im Jahr 2015 hat das Bundesverfassungsgericht sich erneut mit dem Kopftuchverbot beschäftigt und kam zu der Entscheidung, dass ein generelles Verbot von Kopftüchern nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Begründet wurde dies damit, dass ein solches generelles grundrechtseinschränkendes Verbot unverhältnismäßig sei und nur mit dem Nachweis erfolgen könne, dass das Kopftuch eine konkrete Bedrohung für den Schulfrieden oder für die Neutralität des Staates darstellt. Anders formuliert bedeutet dies, dass die bloße Aussage, eine lehrende Frau* mit Kopftuch an einer öffentlichen Schule bedrohe den Schulfrieden und soll deswegen nicht mit Kopftuch lehren können, ist verfassungswidrig und schränkt die Grundrechte dieser Frau* in einem Übermaß ein. 

Nach dieser 2015er Entscheidung wurde das Berliner Neutralitätsgesetz von der Berliner Senatsverwaltung für Bildung nicht als verfassungswidrig angesehen und überarbeitet, da die Senatsverwaltung argumentierte, dass Urteile beziehen sich spezifisch auf einen Fall in einem anderen Bundesland und das “Neutralitätsgesetz” in Nordrhein-Westfalen und gelte nicht unmittelbar für Berlin. Überdies veröffentlichte die Berliner Senatsverwaltung für Bildung einen dreiseitigen Brief (“Anwendung des Neutralitätsgesetzes auf Schulen”), in dem dargelegt wird, wie das “Neutralitätsgesetz” an Schulen anzuwenden ist. Der Brief bezieht sich auf die Entscheidung von 2003 und lässt die Entscheidung von 2015 unberührt, was paradox scheint. Die in Briefform veröffentlichte Stellungnahme bezieht sich auf die langjährige Diversität Berlins und beschreibt das Ziel des Gesetzes “auf diese Weise die stabilisierende und friedenserhaltende Funktion des Staates zu gewährleisten.”