PRESSEMITTEILUNG zum Urteil des Arbeitsgericht Hamburg

zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zum „Kopftuchverbot“,

Pressemitteilung des Rechtsanwaltes der Klägerin, Dr. Klaus Bertelsmann

Am 18.10.2021 sollte beim Arbeitsgericht Hamburg im „Kopftuch-Fall“ verhandelt und entschieden werden, nachdem der EuGH mit seinem Urteil vom 15.7.2021 in einem Vorabentscheidungsverfahren Fragen des Arbeitsgerichts dazu beantwortet hat (Az. des EuGH C-804/18, IX gegen WABE e.V. Hamburg).

Inhaltlich geht es um die Zulässigkeit oder Unzulässigkeit eines Kopftuchverbotes in privaten Firmen, die für ihre Beschäftigten „Neutralität“ beim Zeigen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Zeichen regeln wollen.

Der Fall: Frau IX, Heilerzieherin in einer der vielen Kindertagesstätten des „Wabe e.V.“ Hamburg (mehr als 500 Arbeitnehmer/innen, kein Betriebsrat), war einige Jahre in einer Kindertagesstätte tätig und nahm dann nach der Geburt eines Kindes Elternzeit. Sie ist Muslima und trägt aus religiösen Gründen ein Kopftuch. Als sie nach der Elternzeit in der Kindertagesstätte wieder ihre Arbeit aufnehmen wollte, wurde ihr unter Verweis auf eine gerade zuvor vom

Arbeitgeber (in Kenntnis ihrer bevorstehenden Rückkehr) erlassene „Neutrali- tätsanordnung“ untersagt, mit Kopftuch als Erzieherin tätig zu sein. Sie lehnte das Ablegen des Kopftuches ab, es folgten mehrere Abmahnungen. Danach kam eine Kündigung, diese wurde allerdings zurückgenommen, nachdem dem Arbeitgeber eine erneute Schwangerschaft der Klägerin mitgeteilt worden war.

Das Verfahren gegen die Abmahnungen ging weiter. Am 21.11.2018 entschied das ArbG (Kammer 8, Aktenzeichen 8 Ca 123/18), dem EuGH Fragen zur Vor- abentscheidung vorzulegen. Dies geschieht relativ selten, da es nur dann ge- macht wird, wenn die Auslegung europäischen Rechts notwendig ist, die dem europäischen Gerichtshof in Luxemburg vorbehalten ist.

In dem Beschluss wird zum einen die Frage problematisiert, ob eine solche Un- gleichbehandlung wegen des islamischen Kopftuches eine unmittelbare oder eine mittelbare Diskriminierung wegen der Religion ist und unter welchen Um- ständen ggf. ein solches „Neutralitätsgebot“ Wirkung entfalten kann.

Der Trick, den der „Wabe e.V.“ versucht: den Beschäftigten wurde nicht aus- schließlich das islamische Kopftuch verboten, sondern das Tragen „offen sicht- barer Zeichen ihrer politischen, weltanschaulicher oder religiösen Überzeugun- gen“. Damit soll begründet werden, dass es sich nicht um eine nicht zu rechtferti- gende unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion handelt, sondern „nur“ um eine mittelbare Ungleichbehandlung, die ggf. aus sachlichen Gründen ge- rechtfertigt werden kann.

Rechtsanwalt Bertelsmann vertritt die Klägerin und hat bereits viele Verfahren in Diskriminierungsfällen vor dem EuGH vertreten:

„Eine Ungleichbehandlung wegen der Religion kann es – wenn überhaupt – nur geben, wenn durch das Verhalten der Betroffenen konkrete Störun- gen im Betrieb entstanden sind oder unmittelbar drohen. Eine Arbeit mit Kopftuch aber ist ganz normal auch im Erziehungsbereich möglich, die Kinder kennen dies ja auch aus ihrem täglichen Erleben.“

Die mündliche Verhandlung beim Europäischen Gerichtshof fand am 24.11.2020 statt, der wichtigste Satz ist folgender:

Rn. 85 des Urteils: Es obliegt dem Arbeitgeber „nicht nur nachzuweisen, dass er ein rechtmäßiges Ziel verfolgt, das eine mittelbare Ungleichbehand- lung wegen der Religion oder der Weltanschauung rechtfertigen kann, son- dern auch zu belegen, dass zum Zeitpunkt der Einführung der fraglichen in- ternen Regel eine hinreichend konkrete Gefahr der Beeinträchtigung dieses Ziels bestand oder gegenwärtig besteht, wie beispielsweise die Gefahr kon- kreter Unruhe innerhalb des Unternehmens oder die konkrete Gefahr von Ertragseinbußen,…“.

Rechtsanwalt Bertelsmann:

„Leider geht der EuGH weiter von einer „nur“ mittelbaren Diskriminierung bei Einführung eines ́Neutralitätsgebots ́ aus. Die vom EuGH geforderten Voraussetzungen für eine Rechtfertigung sind aber auch dann nicht erfüllt. Eine entsprechend notwendige konkrete Gefahr für die Tätigkeit des Arbeit- gebers ist bisher nirgendwo belegt, sie kann auch in vorliegendem Fall für eine Kindertagesstätte nicht belegt werden. Dies muss heißen, dass unsere Mandantin weiterhin mit muslimischem Kopftuch ihrer Tätigkeit nachgehen kann.“

Nunmehr hat dies anscheinend auch die beklagte Firma WABE e.V. eingesehen – sie hat die Anträge der Klägerin anerkannt. Entsprechend erließ das Arbeitsgericht am 11.10.2021 ein jetzt zugestelltes Anerkenntnisurteil zugunsten der Klägerin: die Abmahnungen müssen zurückgenommen werden, die Klägerin kann weiter mit Kopftuch tätig sein. Der Arbeitgeber hat die Kosten des Rechtsstreites zu tragen.

Die Klägerin wurde seit Beginn der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber von der Antidiskriminierungsberatung „amira“ von basis & woge e.V. beraten und un- terstützt.

Birte Weiß, basis & woge e.V.:

„Wir freuen uns mit der Klägerin über das Anerkenntnisurteil des Arbeitsge- richts. Die Klägerin hat eine lange Ausdauer gezeigt. Sie hat jahrelange Un- sicherheit auf sich genommen, um nicht nur selber, sondern stellvertretend für viele Betroffene für ihr Recht einzustehen. In diesem Sinne unterstützen wir sie und andere Menschen in rechtlichen wie außergerichtlichen Lö- sungsversuchen. Für uns als Beratungsstelle steht dabei die Notwendigkeit im Vordergrund, dass Frauen ohne Benachteiligung am beruflichen und ge- sellschaftlichen Leben teilhaben können, derartige Verbote und Aus- schlüsse sind mit Diskriminierungsschutz nicht vereinbar.“

Gez. Klaus Bertelsmann

Für Rückfragen und Informationen stehen zur Verfügung:
- RA Dr. Klaus Bertelsmann, Kontaktdaten Briefkopf
- Birte Weiß (Antidiskriminierungsberatung basis&woge e.V., Tel. 0176 72 84 36 55 und 39 84 26 71